Monday 10 May 2010

Warum gerade in Bosnien?

Der christliche Balkan.
Die Islamisierung.
Warum gerade in Bosnien?

Warum haben wir heute ein muslimisches Land inmitten anderer christlicher Länder? Warum ist dieses Land im 15. Jahrhundert als eine fast ausschließlich christliche Region in die Grenzen des Osmanischen Reiches eingetreten und im 20. Jahrhundert - nach dem Verfall des Reiches - als hauptsächlich muslimisches Land auf der Karte Europas wieder aufgetaucht? Im 15. Jahrhundert ist ein Islamisierungsprozess auf diesem Territorium zu beobachten. Mitte des 16. Jahrhunderts ist schon ein Drittel der Bevölkerung muslimisch. Im 17. Jahrhundert sind die Muslime in Bosnien in der Überzahl. Was ist in dem Zeitraum 15.-20. Jahrhundert passiert? Als noch interessanter erweist sich außerdem die Frage: Warum hat sich der Islam gerade auf dem Territotium des heutigen Bosniens durchgesetzt, während die heutigen Bulgarien, Serbien, Griechenland christlich geblieben sind?

Hier einige Überlegungen dazu. Die Schlüsse kann jeder für sich ziehen...

Theorie 1:
Massensiedlungen von Muslimen aus dem Ausland

Gegenargument 1:
Diese Praxis gab es bei den Osmanen. Warum haben wir aber heute das auffallende Ergebnis nur in Bosnien und nicht in allen anderen Ländern, die unter der Herrschaft der Osmanen waren?

Theorie 2:
Zwangsweise Massenislamisierung der Bevölkerung

Gegenargument 2a:
Die analogische Frage: Warum gab es solche Zwangsbekehrungen dann nur in Bosnien? Oder - wenn wir davon ausgehen, dass eine solche Politik auf dem ganzen Balkan betrieben wurde - warum kehrten die anderen Länder dann zum Christentum zurück und die Bosnier nicht?

Gegenargument 2b:
Die osmanischen Steuerlisten (defter) zeugen davon, dass die Islamisierung langsam und allmählich verlief und nicht nur einer oder zwei Generationen bedurfte.

Theorie 3:
Massenkonversion von Mitgliedern der "bosnischen Kirche" (Bogomilen)

(Diese Theorie ist besonders beliebt, denn bei ihr passen einige wichtige Ereignisse sehr gut zusammen. Die Bogomilenbewegung stirbt aus und kurz danach kommt der Islam in Bosnien. Es wäre leicht anzunehmen, dass alle Bogomilen auf einmal zum Islam übergetreten sind. Wer weiß...wahrscheinlich war der Islam der neue Trend unter den "Sektierern"? :) )

Gegenargument 3a:
Die Bogomilenbewegung ist im 10. Jahrhundert in Bulgarien entstanden. Es war keine kleine Sekte sondern eine ernsthafte Bedrohung nicht nur für die Kirche sondern auch für die Herrscher. Warum hat sich die Geschichte in Bulgarien so entwickelt, dass die Bogomilenbewegung letzten Endes erloschen war und in Bosnien dagegen ganz anders - die Bogomulen konvertierten zum Islam?

Gegenargument 3b:
Es gibt zwei besonders beliebte Motive, die vor allem von Verfechtern der Bosniakentumsthese in den Vordergrund gerückt werden, um die Authentizität des Bosniakentums zu beweisen und klar festzulegen, dass die heutigen Bosniaken weder islamisierte Serben noch islamisierte Kroaten sind: das Motiv der "bosnischen Kirche" (Bogomilenthese) und das Motiv des islamischen Glaubens, den nicht mit Zwang von seinen heutigen Nachfahren angenommen wurde. Man könnte daher die These aufstellen, dass eine solche Theorie (die Massenkonversion von Bogomilen zum Islam) nur instrumentalisiert wird, um die oben erwähnte Authentizität des Bosniakentums zu legitimieren.

Theorie 4:
Die Christen sind zum Islam übergetreten, um finanzielle Privilegien zu genießen und Steuern nicht zu bezahlen

Gegenargument 4:
Die Nicht-Muslime im Osmanische Reich bezahlten Steuern. Zum Einen war die zu bezahlende Kopfsteuer für Christen nicht so hoch. Zum Anderen, die muslimische Bevölkerung musste auch Steuern bezahlen. Und diese waren auch nicht "günstiger"...

Bei vielen, vielen Theorien kann man das Gegenargument nach dem Modell "ja, aber warum ist in Bosnien eine andere Entwicklung zu beobachten als in anderen Ländern, die auch - manche sogar länger - unter osmanischer Herrschaft standen?".


Also...
Die "stärkste" bis jetzt These über den Übertritt zum Islam beruht auf der kirchlich-organisatorischen Situation auf dem Territorium des heutigen Bosniens. Es gab in Bosnien zwei, sogar drei - wenn man auch die "bosnische Kirche" dazu zählt - konkurrierende Kirchen. Keiner ist aber gelungen, eine stabil ausgebildetes Kirchensystem von Gemeinden, kirchlichen Gebäuden, Priestern usw. aufzubauen. Und keine von ihnen hat den Rang einer "Staatsreligion" erreicht. Alle Gebiete bedurften Priester. Es gab keine stabile Institution, die den Menschen "den richtigen Weg" zeigen konnte, zumindest nicht so überzeugend wie das in Serbien oder in Bulgarien der Fall war.

Und wenn man diese Instabilität des christlichen Kirchensystems mit der "muslimischen" Gestaltung der Großstädte in Bosnien in Verbindung setzt, dann könnte man besser die Anziehungskraft des Islam verstehen. In diesen Städten wurden Einrichtungen aufgebaut, die für Ausbildung (medresa), Freizeit (bezistan), Kultur usw. sorgten, allerdings in einem "islamic way".

Der christliche Balkan.
Die Islamisierung.
Aus diesen Gründen gerade in Bosnien...

6 comments:

Children of Boredom said...

Hey, weitestgehend stimme ich dir zu. Ich denke es oszilliert was den Islam auf dem Balkan angeht um die Kontinuität mit der sehr gerne heutzutage Identitäten konstruiert werden.

Gewöhnlich nimmt man an der Islam im Balkanraum sei eine Konsequenz der osmanischen "Invasion" gewesen.

Allerdings passen Berichte von muslimischen Geographen wie Yaqut Al Hamawi (1179 - 1229) nicht in dieses Bild. Al Hamawi berichtet vom ungarischen König, der es verboten habe Schutzwälle um muslimische Siedlungen zu errichten. (Dies spricht auch zb. mehr für den Jihad als für Machtpolitische Expansion, man bedenke das Konzept des Dar Al Harb - Haus des Krieges). Noch früher datierte Berichte gibt der maurische Gelehrte Abu Hamid al Garnati (1080 - 1170), der drei Jahre lang als Mufti diente. Die letzte beurkundete Erwähnung vorsomanischer Muslime stammte aus dem Jahre 1354, also gerad der Zeitpunkt in dem der erste osmanische "Stützpunkt" auf "europäischen" Boden errichtet wurde. Demnach haben wir es mit einer Zeitspanne vom 9Jhdt bis zum 14 Jhdt. zu tun, in der es Siedlungen in Srijem, Macva und Nordbosnien (nicht alle aufgeführt) gab.

Wo Du grad die Häretiker angesprochen hast, wäre es bestimmt interessant zu erfahren, ob der "türkische" Islam mystisch geprägt war und ob es so mystisch angehauchten Häretikern quasi sinnvol erschien zu konvertieren.

Zumindest weiss ich, das der serbische Prinz "Prinz Balim" Mitbegründer des Bektaschi Ordens war.

Liliya Slavskaya-Arendar said...

hey, "child", :)

wenn ich dich richtig verstanden habe, behauptest du, dass es auch vorosmanische muslime auf dem balkan gab. da stimm ich dir völlig zu. ich hab auch gelesen, dass es sogar ganze muslimische siedlungen gab.

ich zweifle aber, dass diese einzelne - kann man sagen - muslimische gemeinschaften so eine massenkonversion beeinflussen konnten.

so zumindest meine meinung..

Children of Boredom said...
This comment has been removed by the author.
Children of Boredom said...

nene, das war nicht auf Konversion bezogen, sondern auf konstruierte Kontinuität. Wenn eine Identitätsgeschichte geschrieben wird, versucht man einen Ursprung zu schaffen und eine konsequente Linie in das Hier und Jetzt zu ziehen. Hatten ja letztes mal das Bogumilenbeispiel, das Du ja auch erwähnst, als identitätsstiftendes Merkmal für die bosniakische Identität. So erscheint es zumindest das der Islam erst mit den Osmanen nach Bosnien gekommen sei.

Naja, ich versuch halt das für mich selber klar zu kriegen mit der Konversion.

Also konkret:

Wie sahen die Osmanen den Islam?
Wie war der Raum strukturiert?
Wie wurde die Lehre vermittel?
etc.

Das es Massenkonversionen gab ist ja nicht zu bestreiten;)

Wahrscheinlich interessant zu lesen:

S.Balić: Der Islam im mittelalterlichen Ungarn. In: Südostforschung, 23.,1946.

Liliya Slavskaya-Arendar said...

sei mir nicht böse, ich möchte mir einfach sicher sein, dass ich dich richtig verstanden habe. :)

also, du behauptest bzw. vermutest zwei sachen:

"So erscheint es zumindest das der Islam erst mit den Osmanen nach Bosnien gekommen sei."

und

"Das es Massenkonversionen gab ist ja nicht zu bestreiten;)"

Habe ich das richtig verstanden? :)

ansonsten, die legitimation der eigenen identität - das ist wie ein "muss"!...besonders in manchen regionen auf dem balkan! ;)

Stefan Schaak said...

mich interessiert die "konstruierte kontinuität"!

was passiert, wenn wir nicht mehr davon ausgehen, dass es vor der Gründung des ejalet Bosna durch die osmanen ein Bosnien gab?

- dann ergibt die frage, warum in Bosnien soviele muslime "wurden" keinen sinn mehr

ich vergleich das mal mit meiner heimatstadt bottrop - diese war bis zum 19. jahrhundert evangelisch und dann kam ein katholisches gegengewicht - klar, denkt man, der zuzug aus dem osten - aber was, wenn man nicht mehr davon ausgeht, dass es vor dem 19. jahrhundert ein bottrop mit gleicher stadtidentität gab... denn (husthust) eine stadt gab es da ja vorher nicht so richtig. dann macht der begriff zuzug nicht mehr so viel sinn.

dies ausgehend von meinen heutigen überlegungen zur voraussetzung einer konversion - von wo konvertiert man denn?

das mit den "Taschenleuten" ist natürlich einleuchtend, dass leute, die vorher verfolgt waren, gerne die kommenden derwische in die arme schlossen - die anwendung auf das königreich bosnien erscheint mir schwierig; hier tendiere ich eher dazu die bosnobogumilen ins reich der mythen des 19. jh. zu stecken und mit Džaja zu argumentieren, dass mitte des 15. jh. drei sachen restlos verschwunden sind:

- das königreich bosnien
- die feudale elite
- (und mit ihnen) die führer der "bosnischen" kirche

also im grunde genommen eine stunde NULL, die politisch erst über hundert jahre später mit der ejalet-gründung eine neue regionale identität kreierte.